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Es geht Schlag auf Schlag, denn dies ist schon Teil fünf meiner kleinen Reihe zur Fashion Revolution. Dieser Artikel wird etwas kürzer, dafür aber auch pragmatischer. Das Thema heute ist nämlich, woher wir gebrauchte Stoffe bekommen können und wie wir den Stoffen, die wir nicht mehr vernähen wollen, eine zweite Chance geben können. Denn erstens gibt es nicht alle Stoffe, mit denen ihr vielleicht arbeiten wollt, aus bio-fairer Produktion und zweitens können sich diese nicht alle leisten. Gebrauchte Stoffe können eine gute Möglichkeit sein, trotzdem ressourcenschonend zu nähen.
Übrigens sind längst nicht alle dieser Stoffe tatsächlich gebraucht. Anders als bei Second Hand Kleidung sind die meisten Stoffe, die ihr „gebraucht“ bekommen könnt, unvernäht und noch nicht benutzt worden. Oft handelt es sich um Fehlkäufe oder auch große Reststücke. Hier mal ein paar Ideen, wo ihr was herbekommen könntet:
Baumwolle
Baumwolle und andere Webware könnt ihr z.B. in Sozialkaufhäusern und auf Flohmärkten finden. Alte Bettlaken und Tischdecken sehen übrigens nicht zwangsläufig nach alten Bettlaken und Tischdecken aus. Wenn ihr z.B. eine Tischdecke mit dekorativer Lochspitze in eurer Lieblingsfarbe färbt, habt ihr einen tollen Blusenstoff (gut, dafür muss man Lochspitze mögen, aber ihr wisst wahrscheinlich, was ich meine). Auch Meterware gibt es immer mal wieder auf dem Flohmarkt.
Leder
Leder bekommt ihr z.B. in Autosattlereien, Oldtimer-Werkstätten oder bei Raumausstattern. In dem Fall habt ihr dann ein wirklich gebrauchtes Material, weil es von alten Sitzen und Sesseln abgezogen wurde – und das ganz ohne Tierleid.
Wolle
Auch alte Wolldecken werden auf Flohmärkten und in Sozialkaufhäusern angeboten. Crearesa z.B. hat schon Mäntel aus Sofadecken genäht. Wenn ihr die Wolle als Zwischenfutter nehmen wollt, wie ich bei meinem Wintermantel, ist es sogar egal, wie sie aussieht. Allerdings wäre ich bei Wolle immer etwas vorsichtig, was Mottenbefall angeht. Ihr solltet euch den Stoff deshalb genau anschauen und möglichst für zwei Wochen ins Eisfach bzw. eine Kühltruhe legen.
LKW-Plane
Gut, für Bekleidung eignet sich LKW-Plane überhaupt nicht – aber einige nähen daraus ja gerne Taschen. Das Material ist ehrlich gesagt so eine Umweltsauerei, dass ihr es wirklich nicht neu kaufen solltet. Viel besser könnt ihr es im Stil der Freitag-Brüder beim Autosattler bekommen – die sind in der Regel froh, wenn sie alte Planen loswerden, weil die Entsorgung auf dem Sondermüll für sie kostenpflichtig ist. Kleinere Stücke gibt es auch immer wieder auf Kleinanzeigenportalen. Aber Achtung, stellt euch auf ordentlich viel Schrubberei ein, denn die Dinger sind vorher auf Autobahnen unterwegs gewesen, was eine ganz schön fiese Schmutzschicht hinterlässt.
Stoffmuster
Bei Atelier Goldfaden gibt es mehrmals im Jahr einen Second Hand Verkauf mit Musterstücken von Modefirmen und Stoffen, die sie von Kundinnen übernommen wurden. Der Nachteil: Second Hand Verkauf findet nicht über den Online-Shop statt, sondern exklusiv im Ladenlokal in Bern. Verständlich, wenn man bedenkt, dass jeder Stoff für den Shop erstmal fotografiert und eingestellt werden muss. Für einzelne Reststücke lohnt sich das wahrscheinlich kaum. Allerdings gibt es auch immer wieder Direktverkäufe über Instagram.
Kleinere Stoffreste
Nach kleineren Stoffresten könntet ihr z.B. auch in örtlichen Maßschneidereien fragen. Ich habe es noch nicht probiert, könnte mir aber vorstellen, dass auch dort gerne Stoffreste umsonst oder für wenig Geld abgegeben werden.
Stoffe finden und wieder loswerden bei Stoffetauschen
Was aber tun, wenn ihr doch nach einem schön gemusterten Jersey sucht oder Stoffe übrig habt und euch nicht selbst auf den Flohmarkt stellen wollt? Das hat sich auch Lotta Köhler von Stoffetauschen.com gefragt – und dann kurzerhand eine Möglichkeit dafür geschaffen. Auf der von ihr und ihrem Partner gegründeten Plattform könnt ihr nicht mehr benötigte Stoffe und anderes DIY Equipment tauschen oder verkaufen, aber natürlich auch auf der Suche nach neuen Materialien fündig werden. Als ich die Seite vor ca. 3 Monaten entdeckt habe, war ich sofort Feuer und Flamme. Denn wer schon mal versucht hat, einen Stoff auf einer gängigen Kleinanzeigenseite zu finden oder zu verkaufen weiß, wie mühselig und oft auch aussichtslos das ist. Man scrollt sich durch massenweise schlechte Fotos, kann nur schwer bis gar nicht nach Stoffarten oder Farben filtern und muss beim Verkaufen Dumpingpreise in Kauf nehmen. Bei Stoffetauschen ist das anders, weil es eben nur um Stoffe und andere DIY Materialien geht. Die Plattform ist super aufgebaut, denn hier gibt es eben genau die passenden Filterfunktionen und auch die Nutzer*innen geben sich einfach mehr Mühe bei den Bildern. Es geht hier wirklich allen darum, ihren nicht mehr gebrauchten Stoffen ein zweites Leben zu schenken. „Tote“ Inserate gibt es nicht, denn die Anzeigen bleiben automatisch nur 30 Tage online – es sei denn, sie werden aktiv verlängert. Das finde ich einfach super, denn so kann man sich immer sicher sein, dass sie noch aktuell sind. Dadurch kann man nicht nur sehr gut selbst inserieren, sondern es macht auch einfach Spaß, nach Stoffen zu suchen. Für mich ist also absolut klar, dass ich ab jetzt immer erst einmal bei Stoffetauschen schauen werde – zwei Mal bin ich schon fündig geworden (und ungefähr 10 Mal habe ich mich im Sinne des Minimalismus zurück gehalten weil ich einen Stoff toll fand, aber beim besten Willen keine Verwendung dafür gefunden hätte).
Kurzum, ich finde die Seite einfach toll und bin froh, dass ich auch Lotta für meine kleine Artikelreihe interviewen durfte. Um ehrlich zu sein verdankt Ihr ihr indirekt sogar alle Interviews dieser Woche. Sie war nämlich die erste, die ich gefragt habe und dass sie sofort so begeistert ja dazu gesagt hat, hat mich überhaupt erst motiviert, noch die anderen anzuschreiben.
Inga: Seit wann nähst du und wie bist du dazu gekommen?
Lotta: Ich nähe seit 21 Jahren. Mit 12 habe ich erste Kleidungsstücke mit der Hand genäht. Das hielt ziemlich genau für einmal Auf- und Ablaufen, hat mir aber wahnsinnig viel Freude gemacht. Mit 17 habe ich ein Praktikum in der Kostümabteilung eines Staatstheaters gemacht. Am Theater bin ich auch 10 Jahre geblieben, allerdings nicht im Kostümbild. Mit 29 Jahren habe ich mir dann den Traum erfüllt , doch noch einmal eine Ausbildung im Handwerk zu machen und bin nun Gestalterin für Mode und Design
Inga: Welche anderen DIY Hobbys hast du schon ausprobiert?
Lotta: Möbel bauen, Makramee knüpfen, Siebdruck, Stricken… ich probiere super gern alles aus, von dem ich höre. Aber nichts fesselt mich so wie das Nähen!
Inga: Wie hat sich dein Umgang mit den Materialien für deine Hobbys über die Jahre verändert?
Lotta: Ich habe gerade am Anfang viel gekauft und in meinem Kopf mehr geplant, als vernäht. In den letzten Jahren hat sich mein Geschmack geändert und heute habe ich auch einen anderen Anspruch an meine Materialien. Heute ist meine Nähzeit rar, weil ich den Prozess vor der Umsetzung viel mehr genieße. Ich nehme mir Zeit, Schnitte anzupassen und zu ändern, statt das x-te Schnittmuster zu kaufen.
Inga: Worauf achtest du, wenn du Stoffe einkaufst?
Lotta: Ich skizziere meine Projekte vorab, weshalb ich die Stoffsuche erst starte, wenn ich Farbe und Struktur schon zu Papier gebracht habe. Wenn ich in meinem Vorrat nicht fündig werde, suche ich gezielt nach Shops, die vertrauenswürdig auf eine faire und nachhaltige Produktion fokussiert sind, einen Grundstock an saisonunabhängigen Farben und Qualitäten anbieten und nicht nur ein paar Oekotex100 Stoffe fürs gute Gewissen im Sortiment haben. Tatsächlich reizen mich aber auch oft genug Stoffe auf Stoffetauschen, weil sie einfach aus den aktuellen Kollektionen fallen und ich dann erst recht denke „Yes, ein Unikat“!
Inga: Was sind deiner Meinung nach die größten Probleme, wenn es um Nachhaltigkeit beim Nähen geht?
Lotta: Der Wettbewerb; Meterware und Zubehör zu Dumping-Preisen, bei denen viele vergessen, dass sie vom Händler ja nochmal zu einem günstigeren Einkaufspreis erworben wurden – das offensichtlichste Indiz auf „ganz und gar nicht fair“ – für niemanden, auch uns nicht, denn langlebige Qualität kann hier ausgeschlossen werden. Aber die sollte für uns Hobbynäher doch elementar sein, damit sich die ganze Arbeit an einem Projekt nachhaltig lohnt. Schnittmuster-Rabatt-Aktionen, zu denen sich die kleineren Labels gezwungen fühlen, um gesehen zu werden – und so ihr geistiges Eigentum und ihre Arbeitszeit weit unter Wert verkaufen. Da blutet mein Herz mit der Erinnerung daran, wie viele Wochen ich in der Ausbildung über der Konstruktion eines Schnittes saß. Und das ist ja nur ein Bruchteil dessen, was zu einem marktreifen Schnittmuster gehört! Und zuletzt: die Trends – wir nähen halt auch Mode, nicht ausschließlich was sich langfristig im Kleiderschrank bewährt. Und wir greifen zu schnell zu Stofftrends, in der Angst, dass diese bald nicht mehr verfügbar sind – so ein Quatsch, bei Stoffetauschen findet man sie alle irgendwann 🙂
Inga: Gründen ist ja ein großer Schritt. Was war für dich der ausschlaggebende Punkt, eine Tauschplattform für Stoffe zu gründen?
Lotta: Ich habe das große Glück, dass mein Lebenspartner auch mein Gründungspartner ist, das macht alles sehr viel einfacher. Und es zeigt sich: wenn man an eine Idee glaubt und zusätzlich noch anderen eine Problemlösung bietet, fügt sich eins zum anderen. Ich hatte ein Problem: Mein übervolles Stofflager von Stoffen, die nicht mehr meinem Geschmack entsprachen. Und die bittere Erfahrung, diese auf gängigen Plattformen unter Wert losgeworden zu sein. Denn irgendwie hängen am Stoffkauf und dem kleinen Lager – der sprudelnden Quelle meines Hobbys – immer große Emotionen dran. Ich wollte sie gern jemandem in die Hände geben, der sie genauso wertzuschätzen weiß und ich denke, das geht allen Nutzern so.
Inga: Hast du Bedenken, dass die Möglichkeit, Stoffe wieder zu verkaufen oder zu tauschen die Hemmschwelle für Stoffkäufe eher runtersetzt – nach dem Motto „wenn er mir doch nicht gefällt kann ich ihn ja wieder eintauschen“?
Lotta: Dem versuche ich bewusst etwas entgegen zu wirken; mit dem Stoffetauschen-Magazin möchte ich die Nutzer (und also auch Käufern in anderen Shops) zu bewussterem Konsum und auch nachhaltigem Nähen motivieren. Denn ich weiß, wie sehr es befreit, wenn die Kreativität nicht mehr von einem Materialchaos blockiert wird und wie viel Freude es macht, Projekte langsam und bewusst umzusetzen und im besten Falle noch etwas dazuzulernen. Außerdem gibt es wie erwähnt auch genügend erschreckende Umstände in der Stoffproduktion, die die Leser unbedingt mit dem Input der zukünftigen Artikel weiter hinterfragen sollen
Inga: Werdet ihr auch Live-Tauschevents organisieren, wenn so etwas wieder möglich ist?
Lotta: Das wäre wunderbar und ist zukünftig auf jeden Fall eine Idee, die im Raum steht.
Inga: Stoffetauschen soll ja nicht nur eine reine Tauschplattform sein, sondern auch eine eigene Community. Was wünschst du dir da für die weitere Entwicklung?
Lotta: Da habe ich viele Pläne! Auf jeden Fall ist mir ein noch persönlicheres Vernetzen der Nutzer wichtig, so etwas wie eine „Nähbuddy-Kontaktbörse“ vielleicht. Wir sind viel zu viele, die allein in ihren eigenen vier Wänden nähen.
Ich weiß nicht, ob es euch nach dieser Lektüre genauso geht wie mir vor ein paar Wochen – ich habe direkt mal über meine Stoffe geschaut und tatsächlich ein paar aussortiert. Viele waren es bei mir zwar nicht, weil ich in den letzten Jahren eigentlich nur noch ganz gezielt für einzelne Nähprojekte Stoffe gekauft habe. Aber natürlich ändern sich auch bei mir manchmal die Pläne und bis jetzt konnte ich genau diese Stoffe nicht guten Gewissens weggeben. Hätte ich Menschen in meinem Umfeld, bei denen ich wüsste, dass sie diese Stoffe noch gerne verwenden würden, wäre das wahrscheinlich kein Problem gewesen. Aber wie ich schon mal geschrieben habe, bin ich in meinem Freund*innenkreis die einzige, die Kleidung näht. Es ist schön zu wissen, dass meine wenigen aussortierten Schätze jetzt eine neue Bestimmung finden können.
Ich bin also sehr gespannt auf alles, was sich Lotta noch so ausdenkt – wie ihr sie dabei unterstützen könnt, wenn ihr möchtet, könnt ihr übrigens hier nachlesen.
Mich würde interessieren, was ihr mit euren nicht mehr benötigten Reststoffen bisher gemacht habt? Habt ihr sie verschenkt oder letztendlich doch irgendwann etwas draus genäht? Für die kleinen Stoffreste gibt es ja zum Glück jede Menge Verwendungsideen – meine könnt ihr hier nachlesen (wobei ich in den letzten Monaten nicht viel zur Resteverwertung gekommen bin), aber bei den größeren und den Fehlkäufen würde mich interessieren, welche Ideen ihr bisher dafür hattet. Schreibt es mir doch in die Kommentare.
Lest ihr noch gerne mit? Dann freue ich mich, wenn ihr morgen wieder dabei seid. Nachdem es diese Woche schon um die Stoffherstellung, das richtige Maß (haha, gleich zwei Artikel: Schnittanpassungen UND Minimalismus!) und heute die Weitergabe von Stoffen ging, widme ich mich morgen mal der Lebensdauer von Kleidung. Wie können wir sie verlängern und was können wir schon beim Nähen dafür tun, es uns dabei einfacher zu machen? Übrigens ist das dann auch schon der letzte Artikel von mir zur Fashion Revolution Week. Die geht zwar noch bis einschließlich Sonntag, aber irgendwann müsst ihr ja auch mal die Zeit haben, eure Stofflager auszusortieren ;-).
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2 Comments
Hanna
Hallo Inga,
vielleicht ist auch der Textilhafen einen Besuch wert:
https://www.berliner-stadtmission.de/komm-und-sieh/kleiderspenden/kleiderspenden/textilhafen
eine Initiative aus Berlin, soll es ähnlich in HH geben und vielleicht bald in Köln?
zuerst gelesen https://taz.de/Serie-Was-macht-eigentlich-/!5648745/
VG Hanna
Inga
Hi Hanna,
das klingt super – wäre toll, wenn wir sowas irgendwann auch hier hätten. Noch ist aber wohl nichts dergleichen hier in Aussicht…
Liebe Grüße
Inga